Theologie der Gabe | fundraising-evangelisch.de

Die Gnade als Gabe

Theologische Perspektiven des Gebens

Die Sammlung für die Armen in Jerusalem ist nicht nur ein Herzensanliegen, sondern auch eines der Lebensprojekte des Paulus. Auf dem Apostelkonzil war es vereinbart worden, und für Paulus ist die Kollekte selbst Gradmesser für die Wirksamkeit des Evangeliums in der Welt. Durchgehend in seinen Briefen, aber vor allem im achten und neunten Kapitel des zweiten Korintherbriefes wirbt er leidenschaftlich, rhetorisch brillant und mit einem hinreißenden Charme für diese Sache. Die Kollekte muss ihre Bewährungsprobe bestehen, aus freien Stücken erfolgen und nicht unter Zwang, also ohne aus den Werken des Gesetzes zu kommen.

 

Die Gabe der Kollekte

Ich möchte im Anschluss an die Arbeiten von Dieter Georgi und Magdalene L. Frettlöh vier Kriterien benennen, die für die Gabe der Kollekte bezeichnend sind:

(a) Sie teilt und verteilt die charis, die Gnade Gottes.
(b) Sie ist der Gradmesser für die Glaubwürdigkeit der christlichen Koinonia (Gemeinschaft).
(c) Sie zielt auf einen guten und gerechten Ausgleich zwischen den Gemeinden.
(d) Das Geben in der Kollekte bezeichnet Paulus als leiturgia, als Gottesdienst.

„Charis ist das Leitmotiv der paulinischen Werbekampagne für die Jerusalemer Kollekte.“ (Frettlöh, Der Charme der gerechten Gabe, in: Leget Anmut in das Geben, hgg. Von Jürgen Ebach u. a., Gütersloh 2001, S. 141). Und in der Kollekte kommt die Charis Gottes zum Ausdruck. Mehr noch: Indem Paulus für beides, für das göttliche Geben und Nehmen und für das menschliche Geben und Nehmen denselben Begriff der „charis“ gebraucht, verschränkt er die göttliche Gerechtigkeit und das menschliche Tun in einer nahezu ununterscheidbaren Weise. Zudem gebraucht er für Gnade, Gabe, Kollekte und Dank dasselbe Wort: die „charis“. Gott gibt: reichlich und großzügig, üppig und überschwänglich, aus der Fülle und begabt überreich; Gott macht in Christus eine „Vorgabe“, und dieser „Überfluss“ der charis wird zwischen den Gemeinden weitergegeben. Die Gaben werden nicht gehortet und akkumuliert, sondern frei flottierend, freiwillig und ohne Zwang verteilt und weitergegeben. Und bei alledem gilt: Die Gaben sind nicht verfügbar, können nicht befohlen oder angeordnet werden. Sie erfolgen aus freien Stücken. Ich möchte besonders auf die Vorstellung von der Gnade und auf die Vorstellung des Gottes, der diese Gnade zukommen lässt, hinweisen: Paulus gebraucht Motive des Überflusses, des Überströmens, des Überreichseins und verstärkt dies durch andere Worte und Begriffe, die den Reichtum und die Fülle des Vorgangs zum Ausdruck bringen. Der Gott der Charis ist ein großzügiger Gott. Und die Ethik, die dieser Charis entspricht, ist eine Ethik der Großzügigkeit. Die Kollekte für die Jerusalemer Gemeinde ist für Paulus keine isolierte Spendenaktion und keine einmalige solidarische Hilfe für die armen Judenchristen in Palästina. Es geht um das Selbstverständnis der einzelnen Gemeinden und um das Selbstverständnis der christlichen Gemeinschaft als Ganze. Und Paulus plädiert für einen Ausgleich als Ziel der Gabe. Nicht in einer asymmetrischen Weise, dass die reicheren Gemeinden den weniger Wohlhabenden etwas von ihrem Hab und Gut abgeben.

Diakonia

Nein, als Ausdruck der „diakonia“ ist das Geben und Nehmen ein wechselseitiges, reziprokes Gebeereignis (vgl.  Frettlöh, S. 147). Die Gemeinden bedürfen sich gegenseitig und profitieren von den unterschiedlichen Charismen, die in den Einzelgemeinden vertreten sind. Die Kollekte symbolisiert somit nicht einen einseitigen Güteraustausch oder eine einseitige Güterverschiebung von den Reichen hin zu den Armen im Sinne der „milden Gabe“, sondern konstituiert ein Austauschverhältnis. „Die vor Gott gleich sind, sollen es auch untereinander werden.“ (Frettlöh, 
S. 147). Nicht Scham und Demütigung sind die Gefühlslagen der Beschenkten, sondern das selbstbewusste Wissen, selbst Katalysator der göttlichen Gnade zu sein.

Damit wird die Kollekte zum einigenden sozialen Band der Gemeinden untereinander. Sie stiftet Beziehung und ist als freiwillige Gabe Antwort auf die „überschwängliche charis Gottes“ (2. Kor 9, 15); sie ist Ausdruck der Solidarität, des Bundes und der Gemeinschaft (koinonia). Paulus bezeichnet die Kollekte selbst als Koinonia, als gemeinschaftsstiftende und –symbolisierende Integration christlichen Lebens. Zugleich setzt Paulus mit eleganten rhetorischen Mittel darauf, den Wettbewerb der Gemeinden untereinander anzusporen. Es geht auch um Ruhm, um Prestige und Image der jeweiligen Gemeinde. Die jungen Gemeinden in Makedonien, Achaia und Korinth sollen konkurrieren in der Bereitwilligkeit, Freude und Lust, mit der sie sich auf die Kollekte einlassen, und in der Höhe ihrer Spenden. 

 

 

Die Kollekte repräsentiert als Koinonia die Einheit der Gemeinden.

Sie ist Ausdruck des gemeinsamen Glaubens und damit das sichtbare gemeinsame Band, dem eine integrierende/integrative Funktion zukommt. Damit wird das Geben selbst „leiturgia“, ein angemessener Gottesdienst, als Response auf Gottes großzügiges zuvorkommendes Geben. Gott der Geber aller Gaben verausgabt sich, und ihm wird durch das Entsprechungsverhältnis des Weiter-Gebens dafür gedankt. Die Gabe ist alltäglicher Gottesdienst, in ihr wird Gott für seinen Reichtum gedankt, und in ihr verschränken sich die Gnade, die Gerechtigkeit und wohl auch Schönheit und Charme des Gebens und Nehmens.

 

Theologische Perspektiven des Gebens

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Das Leben als Gabe

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Die Gerechtigkeit als Gabe

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Historischer Ausblick

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Audiobeitrag Theologie der Gabe